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Wer ist denn nun Schuld?

Doping, Hamburg, Gino, Roth- es ist viel passiert

In den letzten Wochen und Monaten ist in der Triathlonszene einiges passiert.

Dopingskandal, schwerer Unfall mit einem Motorrad beim Ironman, ein Radprofi stirbt bei der Tour de Suisse, neuer Weltrekord in Roth. Olle Ratten, da schlackern einem ja die Ohren.

Natürlich müssen wir uns alle eine Meinung bilden. Und selbstverständlich ist das Internet dazu da, diese dann auch in die Welt rauszuschreien. Da geh ich voll mit.
Aber ist es wirklich notwendig, dass wir uns wieder gegenseitig die Augen aushacken, weil diese Meinungen unterschiedlich sind? Weil der eine findet der ist Schuld und der andere findet, der andere ist der Depp.

Wir fahren ja auch nicht alle das gleiche Rad, oder? Und vögeln nicht alle den gleichen Typ Mensch- eben. Weil unsere Meinungen über Qualität (bei Rädern und Partnern) auseinander gehen.

Ethische Überzeugungen sind verschieden und das macht uns individuell. Du kannst deine Meinung sagen, ich kann meine haben. Ich muss deswegen nicht auf Instagram oder sonstwo unter der Gürtellinie schiessen und gemein werden.

Ich lass es mir nicht nehmen, hier meinen Senf auch noch dazu zu geben.

Fangen wir mit der Doping Geschichte an.

Ich weiss nicht mal mehr, wie der Typ hiess. So gleichgültig ist es mir eigentlich auch. Das es prinzipiell falsch ist sich mit illegalen Substanzen einen Vorteil zu verschaffen, darüber sind wir uns alle einig. Das er sagt, er habe das alles allein durchgezogen stimmt den ein oder anderen skeptisch. Man munkelt, er hat ärztliche Hilfe gehabt, sonst hätte er den Hexenkessel nicht so gut brauen können.
Alle schreien plötzlich nach mehr Kontrollen. Bei den nächsten Rennen sagen diverse Profiathleten plötzlich mit komischen Ausreden ihren Start ab. Sofort geht das Feuer los- sie hätten Angst, vor Kontrollen, sie würden bestimmt auch Drogen nehmen.

Natürlich- jeder der gut ist, muss ja auch Dreck am Stecken haben, oder? Mehr Kontrollen wollen im Übrigen auch bezahlt werden. Das ist nicht nur ne kleine süsse Krankenschwestermausi, die da für den üblichen Hungerlohn schnell mal 50 Profi Athleten am Morgen ne Nadel in den Arm rammt und Blut abnimmt. Olle Sangue muss dann auch irgendwo in n Labor und analysiert werden. Und auf was denn eigentlich alles? Haben wir nicht aus der Vergangenheit gelernt, dass es genug Substanzen gibt, die sich im Blut zwar nachweisen lassen, aber einfach kein Mensch den Klick im PC gemacht hat, damit nach diesen auch aktiv gesucht wird?

Wer bescheissen will, der bescheisst doch ey.

Davon bin ich überzeugt. Vielleicht glaube ich auch zu sehr an fair sports und an das Gute im Menschen. Vielleicht habe ich auch Mitleid mit diesem jungen Mann, der dem Druck nicht standgehalten hat und für den die Drogen der einzige Ausweg waren- was absolut nicht heissen soll, dass ich das richtig finde. Wir haben jetzt alle mit dem Finger auf ihn gezeigt, ihn verdonnert Preisgelder zurückzuzahlen und ihn von sämtlichen Startlinien verbannt. Mit faulen Eiern wird man ihn bewerfen, wenn er sich je wieder irgendwo mit nem Zeitchip am Knöchel blicken lässt. Weil er einen Fehler gemacht hat. Weil er in einen schwarzen Strudel gezogen wurde- ich bin sicher er bereut es. Entweder, je damit angefangen zu haben, oder so dumm gewesen zu sein, sich erwischen zu lassen. Hoffentlich haben alle die, die jetzt so eifrig gegen ihn geschossen haben eine weisse Weste.

Der schwere Unfall beim Ironman Hamburg.

Eine absolute Tragödie. Ein Mensch stirbt, zwei werden verletzt. Ja….wer ist denn jetzt Schuld? Ironman? Der Motorradfahrer? Wir vor der Glotze, die ja erwarten, dass man uns mit Live Bildern füttert?

Athleten werden aufs übelste beschimpft. Wie sie es wagen können, sich am Ende des Tages über ihren Slot zu freuen. Ob sie nicht ganz dicht wären, ein lächelndes Finisherfoto zu posten. Warum sie nicht aufgehört haben? Warum ein Frodeno nicht angehalten und beim reanimieren geholfen hat? Warum Ironman das Race nicht beendet hat?
Sach mal, brennt ihr denn eigentlich oder was???

Wo wart ihr denn bei all den Rennen, als Athleten bewusstlos aus dem Wasser gezogen wurden (und einige auch nicht gerettet werden konnten). Wo wart ihr, als letztes Jahr zur 70.3 WM in Utah so ne mit Drogen vollgepumpte Schrabnelle auf die Radstrecke gefahren und zwei Agegrouper niedergemäht hat? Über den Blutfleck sind danach noch 2000 andere Sportler gefahren. Da kräht irgendwie kein Hahn nach. Versteh ich nicht. Ist es, weil wir diesmal die Bilder alle live gesehen haben? Ist es das? Oder bekommt ihr die anderen Sachen einfach nicht mit? Weil sie unter den Tisch gekehrt werden?

Ist es nicht jedem seine Entscheidung, wie er mit solch einer Situation umgeht?

Ich erinnere mich an Challenge Heilbronn. Ich fahre ne geile Abfahrt runter, drei Schilder sagen mir Slow down, no aerobars. Mich überholt so n Spezi und ballert vollet Rohr an mir vorbei. Unten ne T Kreuzung. Er schnallt es nicht und ich sehe, wie er direkt vor mir in die Hecke prescht. In dieser bleibt sein Rad hängen und er fliegt mit dem Rücken voran an die Häuserwand. Ich halte die Luft an und sehe sofort einige Zuschauer zu ihm rennen…und fahre weiter. Ich weiss nicht, ob er noch lebt. Ich weiss nicht, ob er nur n Kratzer hat. Ich bin weitergefahren, weil ich gesehen habe, ihm wird geholfen. Ich habe gefinisht und mein glückliches Finisherbild gepostet. Wie respektlos von mir, oder?

Respektlos von mir ist auch, dass ich die braune Banane in den Kübel schmeisse, weil ich es hasse, wenn sie so gatschig sind, obwohl genug Menschen auf dieser Welt für eine Banane morden würden, weil sei am Verhungern sind. Oder dass ich abends glücklich und zufrieden meinem Freund am Ohrläppchen kaue, obwohl ich 2 Stunden vorher eine verstorbene Patientin in die Pathologie fahren musste.

Was ich damit sagen will. Unser Leben geht weiter- hart aber wahr. Menschen sterben. Es ist schrecklich. Die Umstände sind oft katastrophal. Ungerecht. Uns stockt der Atem. Aber nur, weil wir weiterleben, heisst es nicht, dass wir der Toten nicht gedenken.

Dieser Tag wird ein schwarzer in der Triathlongeschichte bleiben.

Die Konsequenzen werden hoffentlich folgen- weniger Motorräder auf der Strecke- danach schreien wir ja jetzt (natürlich auch noch auf Grund der Windschattenthematik). Ich möchte hier aber nur kurz in den Raum werfen, dass das gleiche hätte passieren können, wenn er der einzige Motorradfahrer auf weiter Flur gewesen wäre. Jeder von ihnen kann plötzlich ein gesundheitliches Problem bekommen und die Kontrolle über die Karre verlieren und Athleten über den Haufen fahren. Ja, der Mann war 70. Ja, der Mann hatte keine Erlaubnis zum Führen des Gefährts. Ja, der Mann hat andere Menschen verletzt. Ja, der Mann musste auf dieser Strasse sein Leben lassen. Wird sind uns alle einig, dass uns das unglaublich leidtut.

Aber er wird nicht wieder lebendig, weil wir gegen Ironman, Frodeno, Kamerateams oder glückliche Finisher schiessen. Eventuell können wir etwas aus der Situation lernen. Eventuell wird unsere eigene Angst auf der Radstrecke jetzt ein bisschen grösser. Eventuell zittern wir jetzt noch etwas mehr, wenn unsere Liebsten den Bikesplit absolvieren. Aber wir sollten nach jeder Trainingsfahrt dankbar sein, wenn wir heil zu Hause ankommen. Weil es genug Arschlöcher draussen auf den Strassen gibt. Die unter nem Bierchen fahren. Oder am Handy hängen, oder einfach gestresst und unaufmerksam sind. Oder eigentlich gar keinen Führerschein haben. Wir sind völlig ungeschützt- abgesehen vom Helm. Das Risiko, dass es knallt gehen wir bei jedem Training und bei jedem Race ein. Diesmal war es ein Motorrad, letztes mal ein Agegrouper ohne Raceerfahrung.

Mögen all die Grossfressen, die andere jetzt so verurteilt haben doch in Zukunft bitte einen grossen Bogen um Ironman machen. Die, die urteilen und so laut schimpfen. Gewisse Profiathleten/innen spreche ich da ganz besonders an. Die vorne mit dabei waren beim Shitstorm und fürs nächste Ironman Race schon in der Vorbereitung wieder auf dem Weg nach St. Moritz sind. Die Kommunikation von Ironman hat Verbesserungspotential, das wissen wir alle nicht erst seit gestern. Aber meint ihr, es gibt ein Handbuch zu «Was machen, falls Motorradfahrer ohne Führerschein reanimationspflichtig wird und auf der Gegenfahrbahn einen Agegrouper abschiesst»? Ihr Klugscheisser.

Gino stirbt mit nur 26 Jahren bei einer Abfahrt der Tour de Suisse

Mein Gott…26 Jahre alt. Wie schrecklich ist das? Der Veranstalter und die Teams reagieren unglaublich professionell und menschlich. Und wenige Stunden später geht sofort das Schuldzuweisen wieder los. Warum hat man die Strecke so geplant? Warum ist kurz vorm Finish diese krasse Abfahrt vom Albula? Da wo alle schon müde sind und nur noch schnell nach Hause wollen.

Alle Athleten und alle Teams kannten vorher die Strecke. Wenn sie es als zu gefährlich eingestuft hätten, dann hätten sie sich geweigert das Ding zu fahren. Dann hätten sie sich alle zusammen getan und gesagt, sie wollen eine Änderung der Route, weil das Risiko sonst zu hoch wäre, dass es zu Crashs kommt. Haben sie nicht. Sie haben ihre Jungs auf die Strasse geschickt und ihnen gesagt, sie sollen ein geiles Race haben.
Wenn du hundert Klamotten drauf hast, dann reicht ein winzig kleiner Fehler von dir (oder einem anderen Fahrer) und es schäppert- und zwar richtig übel. Und genau das ist passiert. Es ist erschütternd. Nicht auszumalen, was die Familie und Freunde gerade durchmachen. Der Junge hatte noch sein ganzes Leben vor sich. Und hat diesen schweren Unfall leider nicht überlebt. Ich kann mein Mitgefühl kaum in Worte fassen.
Auch hier brauchen wir keinen Schuldigen. Es ist, wie auch der Fall des Ironmans Hamburg, ungerecht.

Aber wann ist der Tod schon gerecht?

Es tröstet mich, dass ich mir einrede, Gino ist bei dem gestorben, was er am meisten liebt. Bei seinem Sport. Auf seinem Rad, in einer geilen Abfahrt mit einem Affenzahn drauf. Rest in Peace.

Neuer Weltrekord in Roth

Zum Abschluss noch was Erfreuliches. Daniela Ryf knackt den Weltrekord auf die Langdistanz in Roth- du geile Sau verdammt. Viele hatten sie schon abgeschrieben, weil sie ne holprige Zeit hinter sich hatte. Und denen hat sie schön eins mitten in die Fresse gegeben. Es ist kein Geheimnis, dass ich ein riesen Fan von Daniela bin und es ihr soooo sehr gewünscht hab. Vom Startschuss bis zur Finishline war es ein pures Vergnügen ihr zuzuschauen. Roth hat seinem Ruf wieder alle Ehre gemacht und offensichtlich ein grandioses Event auf die Beine gestellt. Ich verneige mich vor dem, was diese Frau im Sport erreicht hat und du bleibst weiterhin für mich die grösste Inspiration im Triathlon.