Unsere Stossdämpfer haben des Öfteren ihr letztes Gebet gesprochen
Albanien, wir haben dich trotzdem echt ins Herz geschlossen
- IronVan
Die Facts:
Es leben mehr Albaner ausserhalb von Albanien, als in ihrem eigenen Land.
2,8 Millionen Einwohner auf einer Fläche, die n bissl kleiner ist als Belgien. Die Lebenserwartung beträgt 78,46 Jahre- die Albaner werden also im Schnitt älter, als ihre Kollegen aus Montenegro. Warum?
Exportieren tun sie Fisch, Heilkräuter und Leder. Die Wetterbedingungen sind optimal für den Ackerbau, das meiste, was angebaut wird geht jedoch für Viehfutter drauf.
Die eigentliche Kohle wird hier mit Gras gemacht, man munkelt, dass jährlich so ca. 4 Milliarden US Dollar „verdient“ werden. Heroin- und Kokainschmuggel boomen scheinbar auch recht gut.
Albanien gehört immer noch zu den ärmsten Ländern Europas.
Das monatliche Durchschnittseinkommen liegt bei 300 Euro.
300 Euro. 300 Euro. 300 Euro. Ich kann die Zahl gar nicht oft genug wiederholen. 300 Euro. Mein linkes Pedal an der Greta ist das doppelte Wert (Wattpedal).
Wir fahren über die Grenze und die Wetter App sagt und für die nächsten sieben Tage Dauerregen voraus. Also suchen wir uns ausnahmsweise einen Campingplatz, denn wir brauchen Strom.
Wenn die Sonne tagelang nicht scheint, dann nützen uns unsere Solarplatten auf dem Dach reichlich wenig.
Wir bekommen den ersten Kulturschock, als wir durch Shkodra fahren. Die Hühner werden an der Strasse verkauft. An jeder Ecke hat es Hunde, tot oder lebendig. Esel stehen in der Innenstadt. Masken? Werden überbewertet, selten sehen wir jemanden, der eine trägt.
Es scheint keine Verkehrsregel und sowieso keine Spuren auf den Strassen zu geben. Alle fahren irgendwie...und es funktioniert. Der Radfahrer schlängelt sich neben der in der zweiten Reihe geparkten Eselkutsche und uns durch. In den Strassen hat es Löcher, die lassen mich vermuten, dass ich gleich den Erdkern sehen kann. Unsere Stossdämpfer haben des öfteren ihr letztes Gebet gesprochen, aber sich bis jetzt artig gehalten.
Und Mercedes.
Der Albaner liebt seiner Mercedes. Ich habe nie so viele Benz gesehen, wie in Albanien. Und einmal mehr hat es mir gezeigt, Mercedes ist eben ein Auto fürs Leben. Olle Ratten, da waren Autos dabei...ich kann nicht nachvollziehen, wie die noch fahren konnten, so wie die aussahen. Ich hab es nicht recherchiert, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es da so was wie TÜV gibt. Auf jeden Fall hat nicht jeder hier sein Auto versichert, das haben wir später in Gesprächen erfahren. Aber der Benz glänzt, egal in welchem Zustand. Es hat Autowaschanlagen ohhhnne Ende. Also mit Waschanlage meine ich einen Menschen, mit einem Schrubber und einem Gartenschlauch und einem Eimer, der unter einem Plastikzelt sitzt und auf Kundschaft wartet- und die kommt, garantiert.
Wir bleiben eine Woche auf dem Campingplatz, nutzen die lauwarme Dusche und den Gasherd. Ich kann jeden Tag laufen gehen. Man rät mir davon ab, in dieser Gegend aufs Rad zu gehen, eben weil die Strassensituation so ist, wie sie ist. Wir hören dem Regen beim tröpfeln auf dem Dach vom IronVan Dach zu. Schauen Netflix (haben WLAN inkl. auf dem Platz) und sind einfach mal ne Woche kleine Fauliberts. Wir fahren mal in die Stadt zum einkaufen und ansonsten leben wir nach dem Motto „Hartz IV und der Tag gehört dir.“ Aber nach sieben Tagen werden wir unruhig. Das ist nicht das, was wir wollen. Nicht im IronVan vor uns hin vegetieren und nichts erleben. Wenn das Wetter so bleibt, dann fahren wir eben weiter -der Sonne entgegen. Gesagt getan.
Wir verlassen den Platz und finden einen weiteren Lost Place.
Einen endlosen Sandstrand mit einer Promenade, auf der noch alles geschlossen hat, weil die Saison erst im Mai anfängt. Unser Plan ging auf, das gute Wetter kam und hat uns schön knusper gemacht. Wir konnten schwimmen im Meer, wir konnten morgens leicht bekleidet durch den Sand hüpfen und uns des Lebens freuen. Wunderbar. Das nächste Dörfchen (Spilla- für die, die hier mal nebenbei den Atlas welzen wollen) war gut mit dem Bike zu erreichen, so das Andreas hin radeln konnte um unsere Vorräte nach einigen Tagen aufzufüllen. Ich konnte am Strand joggen- das stand schon lange auf meiner Wishlist. Als ich damals noch an der Ostsee gewohnt habe, hatte ich mit Sport soviel am Hut, wie heute mit Proktologen, deswegen hab ich das bis dato in meinem Leben noch nie getan.
2004 galt Albanien als das Land mit der stärksten Umweltverschmutzung Europas.
Wo du auch hinschaust liegt Müll. Er wird einfach in die Natur gekippt. Ich rede hier nicht von 2 Plastikbuddeln und nem MC Donalds Karton (was sowieso ausgeschlossen ist, weil es in ganz Albanien kein Mc Donalds gibt), sondern von Wagenladungen voll. Irgendwann kommt vielleicht mal jemanden und zündet so n Haufen an, dann qualmt es n bissl vor sich hin und danach hat es wieder mehr Platz um neuen Dreck abzuladen. Aber man kann es den Bewohnern eigentlich ja auch nicht verübeln, es gibt einfach keine funktionierende Müllentsorgung in diesem Land. Da kommt niemand und holt deine Tonne ab und bringt sie zur Deponie.
Von dem Strand, an dem wir nun standen war ich besonders schockiert. Ja, ich bin ein sehr privilegierter Mensch, dass ich solche Bilder bis jetzt wirklich nur aus dem TV kannte. Wir konnten keinen einzigen Schritt machen, ohne nicht irgendwo auf Müll zu stehen (nicht direkt am Wasser natürlich, sondern halt am Sandstrand). Ich hätte mir n LKW und 30 Mann gewünscht um Ordnung zu machen. Hatte ich beides aber gerade nicht zur Hand. Am ersten Tag habe ich Müll gesammelt. 100 m weiter am Waldrand stand ne Tonne, die hab ich mir zum Strand gezerrt und vollgemacht (um die nächsten sieben Tage jedes mal traurig zu gucken, wenn ich das Müllauto habe einfach an meiner Tonne vorbei fahren sehen). Spritzen mit Kanülen, Windeln, Glas, Tüten Schuhe ohne Ende und überall diese verdammten Plastikflaschen.
Es macht mich so traurig. Ich kann es kaum beschreiben. Das sind Sachen, sie hat das Meer angespült, die hat niemand an den Strand geschmissen. Die kommen aus dem Wasser. Aus dem, in dem ich trainiere, aus dem, in dem dein Fisch schwimmt, den du futterst, aus dem schönsten, was die Natur zu bieten hat. Wir machen uns so systematisch platt, wir dusseligen Menschen, aber ich reiss mich jetzt am Schlübber und geh hier nicht weiter drauf ein, sonst eskalier ich nur wieder.
Weltweit gibt es nur vier Länder, die es schaffen, ihren eigenen Energiebedarf zu 100% aus erneuerbaren Energien abzudecken.
Albanien ist eines davon. Hauptsächlich wuppen sie das mit Wasserkraftwerken. Da können wir uns mal ne fette Scheibe von abschneiden, denke ich.
Die Einheimischen, denen wir begegnet sind waren auch hier wieder alle unglaublich lieb. Die Strassenhunde, denen ich persönlich immer sehr positiv gegenüber stand haben mich hier eines Besseren belehrt und mir an meiner Wade gezeigt, dass sie definitiv schneller rennen können, als ich.
Wir haben andere Camper kennengelernt, die wir sofort voll ins Herz geschlossen haben und uns stundenlang über Cryptowährung und Meditation austauschen konnten.
Ich habe mich sehr auf Albanien gefreut, weil ich im Vorfeld nur Gutes über das Land gehört habe und ich wurde nicht enttäuscht. Landschaftlich absolut sehenswert und das Meer ist wunderschön.