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Mein erstes DNF

Plattes Vorderrad in Schweden

  • Race hard, baby

Racebericht zum ersten DNF

Zuürck in Zürich war der Plan vorerst zu racken. Und zwar non stop. Das hab ich getan. Bis zum 01.06.22 hab ich durchgearbeitet. Um Kohle zu scheffeln und mir danach wieder guten Gewissens die Nussschalen schaukeln zu können.
Zwischendurch habe ich den IronVan verkauft. Hintergrund dazu:

Für mich allein ist der Van wirklich zu gross. Ich brauche nicht so viel Platz. Und es war klar, ich werde nicht mehr monatelang on the road sein, sondern immer mal wieder ein bissl, aber nicht ewig. Also braucht es auch keine Küche, der Campingkocher tut es definitiv auch. Ausserdem brauch ich doch auch ab und an in der City ne Karre und das ist es echt mühsam mit dem riesen Kasten n Parkplatz in Züri zu bekommen.
Ich hätte es nie übers Herz gebracht, den IronVan irgendwo zu inserieren. Aber wie es das Schicksal manchmal so will…ein Freund von einem Freund und so. Er hat eine zerschmetternde Diagnose bekommen- Lebenserwartung ca ein Jahr. Sein letzter Traum- mit einem Van unterwegs zu sein. Aber Zeit um einen zu kaufen und umzubauen hat er nicht mehr. Und hier kommt der IronVan ins Spiel. Niemand anderem hätte ich meinen Bus mit so einem guten Gefühl geben können. Und ich hoffe, sie werden zusammen genauso eine unvergessliche Reise haben, wie ich sie geniessen durfte.

Also kam Captain Buzz Lightyear ins Spiel.

Ein Caddy. Reicht völlig aus. Andreas hat mir ein Bett reingebaut und einen neuen Boden. Es hat Platz für das Fahrrad und genug Gepäck. Und ich komm damit in jede Tiefgarage in der Stadt und bin ganz klar kein Camper mehr- kann also auch überall guten Gewissens über Nacht stehen.

Die erste Reise sollte in mein geliebtes Schweden gehen. Der Ironman 70.3 vom letzten Jahr war coronabedingt auf den 10.7 verschoben. Also Koffer gepackt und ab ging die Luzy. Die Mäuse haben in der Zeit Ferien bei Papa gemacht. Ich konnte sie unmöglich mitnehmen. Hätte ich sie im Auto warten lassen sollen, während ich race? Schwierig.

Am ersten Tag bin ich hoch bis nach Hamburg gebügelt und hab dort eine Nacht bei meinem lieben Freund Jan verbracht. Am nächsten Morgen ging es weiter. Durch Dänemark und ab nach Schweden. Ich liebe Autofahren einfach- könnte ich stundenlang.
Dieses Land hat für mich einfach einen ganz besonderen Zauber. Die Landschaft- atemberaubend. Und die Menschen- sowas nettes findet man nirgendwo anders auf der Welt (meine Meinung).
Ich finde einen schönen Stellplatz direkt am Wasser. Ich gehe an den Strand. Schuhe aus….Füsse im Sand…Wind in den Haaren…das Meer direkt vor mir….und Tränen fliessen mir übers Gesicht.

Dieses Freiheitsgefühl. Diese Dankbarkeit.

Und all der Druck der letzten Monate fällt mit einem Schlag von mir ab. Das viele Arbeiten, die Trennung von Andreas. Die Organisation vom Triathlontraining in Vorbereitung auf die Wettkämpfe, alleinerziehende Hundemama, die sozialen «Verpflichtungen» gegenüber Freunden, die «Arbeit» als Influencerin für verschiedene Kooperationen, der ungewisse Blick in die Zukunft.
All das ist in dem Augenblick völlig egal. Es gibt nur mich. Den Sand, das Meer, das Glücksgefühl.

Ich verbringe ein paar traumhafte Tage in Schweden. Ich wasche mich wieder im Meer. Ich koche mir meinen Kaffee in der Hocke vorm Auto. Ich frühstücke mit der schönsten Aussicht. Ich schlafe wie ein Baby in meinem kleinen mummeligen Captain Buzz Lightyear. Ich bin zufrieden.

Ende der Woche hole ich Yannick vom Flughafen Götheborg ab und wir fahren zusammen nach Jönköping. Startnummer holen, alles checken. Wir treffen uns dort noch mit Freunden von Yannick und gehen zusammen ins Wasser. Frisch, aber gut machbar. Danach fahren wir mit dem Auto die Radstrecke ab. Irgendwo unterwegs halten wir, gehen ne halbe Stunde ballern um ein Gefühl für den Wind (der ist dort nicht ohne) zu bekommen und die müden Knochen zu aktivieren. Anschliessend noch n kurzer, flinker Koppellauf und dann werden die Räder in der Wechselzone eingecheckt.
Wir sind ready to rumble. Wir haben Bock, wir wollen racen.
Die Nacht im Captain Buzz auf dem Parkplatz vor Yannicks Hotel verläuft komplikationslos. Ich kann mich zum Breakfast mit reinzecken und wir fahren top motiviert mit dem Taxi zum Ironman Gelände.

Der übliche Ablauf startet. Unter anderem zählt dazu, nochmal die Luft aufzupumpen. Der Bro hat am Vorderrad nur noch 2 bar. Ich fahre mit 6. Ich wunder mich nicht sonderlich drüber, weil das Rad eben immer etwas Luft verliert, wenn es nur steht. Und nach dem letzten Ironman im Juni in der Schweiz wurde es nicht mehr oft bewegt (sondern die anderen zwei Velos).

Yannick startet wie immer kurz vor mir. Ich gemeinsam mit seinem Kollegen. Die Laune ist super.

Piep, piep, piep, pieeeeeeeppp…und schon bin ich drin im kalten Nass.

Ich finde meinen Rhythmus diesmal erstaunlich schnell. Ich bin entspannt, merke, dass ich gut vorankomme. Ich habe mich diesmal eine Gruppe schneller angemeldet, weil es mich ja sonst immer genervt hat, wenn ich nur am Überholen war. Der Plan hat funktioniert. Das ich immer wiedereingesammelt wurde, bzw. gemerkt habe, mit anderen ein Tempo zu schwimmen hat mir gut getan.
Aber die Schwimmstrecke ist nicht mein Freund. Ich schlage n paar völlig unnötige Hacken, aber egal, extra Meilen haben noch keinem geschadet. Ich nehm es mit Humor und komme fit und munter aus dem Wasser. Die Zeit ist entsprechend der Zusatzschlaufen völlig zufriedenstellend für mich. Der Weg in die Wechselzone ist mit knapp 600m recht lang, vergeht aber Rubbeldiekatz. Raus aus dem Neo, Startnummer ran und ab gehts zum geliebten Bro. Ich schnapp mir das Schätzchen und verlasse zügig T1. Wie immer bin ich mit meiner Transitiontime sehr zufrieden. Dat kann ich irgendwie echt recht gut.

Die Radstrecke ist ein absoluter Traum.

Wellig, in wunderschöner Landschaft. Es wird im Gegensatz zur Schweiz sehr fair gefahren, was mich dolle glücklich macht. Nichts ist ätzender, als diese verdammten Lutscher im Rennen, die in deinem Windschatten rumeiern. Frisch ist es. Siebzehn Grad und Sonne, Wolken Wechsel. Ich brauch n bissl, bis ich nicht mehr friere, denn natürlich bin ich vom Swim noch paddernass.
Die Kilometer fliegen an mir vorbei. Ich weiss, was kommt. Es sind keine grossen Anstiege zu erwarten, die Höhenmeter läppern sich trotzdem, aber es kommen auch immer wieder geile flache Passagen, in denen man schön drücken kann. Der Wind hält sich in Grenzen, ab und zu gibt es Stellen mit Seitenböen, aber ich hab den Bro gut unter Kontrolle und fühle mich absolut sicher. Der Verpflegungsplan funktioniert wie immer einwandfrei und alle 30 Minuten drück ich mir artig n Squeezy Gel rein.

Die Strassen sind perfekt abgesperrt und beschildert, absolut nichts gibt es zu meckern an der Organisation vom 70.3 Jönköping.
Es geht ein wenig bergab und ich merke, irgendwas ist komisch. Ich weiss nicht gleich was, raffe nicht, was vor sich geht, aber der Bro schlabbert rum. Und es wird immer schlimmer. Innerhalb von wenigen Minuten beschliesse ich anzuhalten, weil ich mich eben doch plötzlich gar nicht mehr so sicher fühle. Und nichts wäre schlimmer, als ein Sturz mit dem Rad. Was aber auch nicht grad angenehm ist…ein platter Vorderreifen im Wettkampf.
Und zwar nicht nur n bissl platt. Die Luft ist einfach komplett raus. Ich fahre tubeless Reifen. Ich weiss, ich kann keinen Schlauch wechseln. Da kannst jetzt lachen, oder die Fresse halten 😉 . Und weil ich eben weiss, dass ich es nicht kann und auch null Motivation besitze, es zu lernen habe ich an meinem Triathlonrad eben tubeless. Heisst, eigentlich sollte ich keinen Platten bekommen können, da Milch im Reifen ist, die gegebenenfalls das Loch abdichten würde.

Hat sie nicht. Oder ich hatte kein Loch? Ich weiss es nicht.

Was ich weiss, ist, dass bei Kilometer 72/90 an eine Weiterfahrt vorerst nicht zu denken war.

Ich hoffe auf den Bikemech auf dem Motorrad und setze mir innerlich ein Limit. Wenn der Süssbert innerhalb von 10 Minuten hier aufkreuzt und das fixen kann, dann baller ich weiter. Wenn nicht, dann ist das ein Zeichen.

Nach 20 Minuten ist immer noch niemand zu sehen. Ich sitze zittern am Streckenrand irgendwo im Nirgendwo. Es gibt ein einziges Haus auf der anderen Strassenseite. Davor ist ein schwedisches Paar. Frierend überquere ich die Strasse und die geballte Ladung schwedischer Mentalität trifft mich. Sie bringen mir einen Wollpulli und eine Fleecejacke- geschenkt, weil klar ist, wir werden uns nie wieder sehen. Sie bieten mir Essen und Trinken an (was ich dankend ablehne, weil ich innerlich auf 180 bin). Sie entschuldigen sich hundert Mal, dass sie mich nicht fahren können, weil sie das Grundstück wegen der Streckensperrung nicht verlassen dürfen.

Nach insgesamt 50 Minuten kommt ein Motorrad von Ironman vorbei.

Er registriert meine Startnummer und sagt, ich solle die Strasse weiterlaufen, in ein paar Kilometern käme ne AidStation, da schicke er jemanden hin, der mir helfen könne. Ich laufe also los. Mit den verdammten Klick Schuhen, den Bro schiebend auf dem Asphalt. Auf der anderen Spur fliegen die Athleten an mir vorbei. Und jeder denkt wahrscheinlich das, was ich die letzten sechs Jahre in jedem Race gedacht habe, wenn ich jemanden sein Rad schieben gesehen habe: «Oh nein du Arme, hoffentlich passiert mir das nie.» .
Jetzt war ich halt mal dran. Als ich für einen Moment keinen Triathleten auf der Strecke hinter mir sehen kann muss ich kurz ziemlich laut brüllen. Ich muss die Wut und den Frust rausschreien. Kilometer 72, verdammte Sch….wieso? Wieso ich? Warum? Ich war so gut unterwegs…mimimi.
Und das wars. Ende des Gejammers. Wem soll ich die Schuld geben, auf wen soll ich wütend sein und vor allem, was würde es ändern? Nichts reinweg gar nichts.

Jetzt ist es halt so.

Schlussendlich komme ich nach über zwei Stunden in der Wechselzone an. Ein Kleinbus von Ironman hat mich aufgelesen und mit Red Bull versorgt und schnell wieder zum Lachen gebracht. Die Erde dreht sich weiter.

Als ich mein Handy wieder habe sehe ich, dass es quasi explodiert vor Nachrichten. All die lieben Menschen, die mich getrackt haben und vor Sorge halb umgekommen sind, weil mein Tracker sich nicht mehr bewegt hat, haben mir geschrieben.
Die schlimmste Annahme, dass ich einen Sturz auf dem Rad hatte, ist zum Glück nicht eingetreten.
Und das…ist das aller wichtigste. Ich bin gesund. Es ist nichts passiert. Ich konnte einfach zum ersten Mal ein Rennen nicht ins Ziel bringen, und zwar nicht, weil ich körperlich oder mental versagt habe, sondern weil es ein technisches Problem gab. Damit kann ich leben, damit kann ich umgehen.
Trotzdem fahren wir wenige Stunden nach dem Rennen die 20h zurück nach Zürich. Ich bin trotz allem zufrieden. Ich weiss, dass ich auf dem Rad bis zu diesem Kilometer gut abgeliefert hab. Das ich beim Laufen schneller werden will, weiss ich auch, ohne dass ich bei diesem Race überhaupt bis zu T2 gekommen bin.

Ich habe genug Rennen im 2022 im Kalender. Es war nicht mein A Race und es hat keinerlei Bedeutung für mich gehabt. Es ging nicht um einen WM Slot oder darum, einen Blumentopf zu gewinnen. Es ging um Spass. Und den hatte ich. Leider ein paar Stunden weniger, als bezahlt, äh geplant.

Mittlerweile war ich mit dem Bro bei meinem Velomech, dem lieben Marco von der Gümmelei. Und ein bisschen hab ich also doch selber Schuld an der Situation. Die Milch im Rad sollte man regelmässig wechseln, so alle 6 Monate. Meine war jetzt 1.5 Jahre drin. Ooopsi. Der Bro hat nun also neue Püschen vorne und hinten bekommen. Vorne frische Milch und hinten so n mega tollen, super schnellen Schlauch. Alles andere ist auch gecheckt und nun bin ready für die nächste Start- und hoffentlich auch wieder Finishline. Am Rad wird es sicherlich nicht nochmal scheitern.

Wer weiss, vielleicht ist die Luft an diesem Tag rausgegangen, weil ich sonst gestürzt wäre, oder mir beim Run die Haxen gebrochen hätte, oder weiss der Kuckkuck was…irgendeinen Grund hat es gehabt, auch, wenn ich ihn bis heute nicht richtig deutlich sehen kann, glaube ich fest daran, dass es schlussendlich das Beste für mich war, dass ich an diesem Tag die Ziellinie nicht überqueren sollte.

Aber Jönköping sieht mich wieder. Dieses Rennen muss ich irgendwann nach Hause bringen- einfach zu schön dort.