
Langdistanz
9 Monate statt 9 Stunden
Ich finde der Vergleich von Schwangerschaft und Langdistanz liegt irgendwie auf der Hand.
Beides ist definitiv ne Meisterleistung und ne mächtige Belastung für den Körper.
Auf die Langdistanz kann man sich zwar körperlich mehr vorbereiten, aber schlussendlich weiss man doch auch nicht, was auf einen zukommt und wie dat olle Skelett darauf reagiert.
Das erste Trimester ist wie das Schwimmen.
Der Sprung ins kalte Wasser. Natürlich war das geplant, du hast in beiden Fällen gewusst (oder in etwa geahnt) auf was du dich einlässt, aber irgendwie geht es dann doch schneller los, als gedacht.
Im ersten Trimester (oder eben im Triathlon in der ersten Disziplin- dem Schwimmen) bist du irgendwie wie in Watte. Der Kopp ist unter Wasser, du bekommst alles nur gedämpft mit, weisst gar nicht so recht, wie dir geschieht und kannst irgendwie noch gar nicht fassen, dass es jetzt wirklich endlich losgeht. Keiner weiss, wie du dich fühlst. In der Schwangerschaft nicht, weil du ja im 1. Trimester noch den Schnabel halten sollst und niemanden diese riesige Neuigkeit droppen darfst. Und im Swim, weil niemand dein Gesicht sieht, niemand etwas aus deiner Körpersprache deuten kann. Die Zuschauer sind weit weg. Erst, wenn du aus dem Wasser kommst, können deine Supporter anhand deiner Zeit abschätzen, wie es dir ergangen ist.
Eine weitere Parallele ist garantiert die Frage “Was mach ich hier eigentlich?”. Warum mach ich das? Bin ich wirklich genug vorbereitet, weiss ich, was als nächstes kommt?
Die Antwort ist sowohl in der Schwangerschaft, als auch im Sport NEIN.
Du weißt es nicht.
Andere können dir vorher erzählen, wie es sich bei ihnen angefühlt hat, können dir Tipps für einen schnellen Wechsel oder die spezifische Strecke geben, aber abliefern musst du am Ende allein.
Und die Atemnot- eine weitere Gemeinsamkeit- das verdammte Gejapse.
Beim guten Schwimmer sicher weniger ausgeprägt, als bei Anderen und bei Schwangeren bestimmt auch mal mehr oder mal weniger am Start.
Mir ging es im ersten Trimester gut. Ich hatte keine Übelkeit und nix. Lediglich unglaublich müde und erschöpft hab ich mich gefühlt- wie auch beim Swim ;).
Mental fand ich es schon ne rechte Herausforderung.
Zumal ich zusätzlich mein größtes Laster, meine Nikotinsucht von 100 auf Null eingestellt habe.
Ich habe meine bösen Nachrichten auf Instagram schon kassiert, nachdem ich dort offiziell darüber berichtet habe.
Ja, ich habe geraucht. 24 Jahre lang mindestens eine Schachtel am Tag. Ja, das ist ganz doll böse und ganz doll ungesund. Man warf mir vor, ich hätte auf Insta die Gesundheits-Sportmaus vorgespielt und dann “heimlich” geraucht. Okay, fair enough, ick hab mich nie mit ner Kippe in der Fresse gefilmt, aber hab ich je gesagt ich wäre perfekt und würde nicht rauchen? Und filmst du dich im Primark, wenn du deine Billigschlübber kaufst, oder bei deinem Feierabendbier, dass du dir nach der harten Woche ja schließlich verdient hast? Beides find ich auch absolut verwerflich, aber Alter bitte, go for it. Macht doch alle, was ihr wollt. Und an die, die immer noch glauben, auf Insta DIE GANZE WAHRHEIT zu sehen, ihr müsst jetzt sehr stark sein, aber jeder zeigt, was er zeigen will und du siehst genau das, was du sehen sollst. Und deswegen sind Menschen keine Lügner. Aber jeder “Influencer” hat auch ne gewisse Vorbildfunktion und rauchen ist nun wirklich nix, auf das ich stolz war. Und trotz diesen Massen an Gift, die ich inhaliert habe, hab ich es sportlich doch zu was gebracht und verdammt JA, DARAUF BIN ICH STOLZ!
Genug gerechtfertigt jetzt hier, ihr kleinen perfekten Gesundheitsbärchen.
Ich bin stolz wie Bolle, dass ich es geschafft habe, von jetzt auf gleich, nach dem positiven Test aufzuhören. Und das war das, was ich eingehens sagen wollte. Denn das ist mental auch nicht gerade ohne gewesen. Jeder, der schon mal eine Sucht bekämpft hat, weiss wovon ich spreche. Diese Routinen sind so verknüpft, dass du gefühlt deinen kompletten Alltag auf den Kopf stellen musst, um davon wegzukommen. Aber wenn man die richtige Motivation hat (wie zum Beispiel so n Knöppi im Bauch) geht es dann doch plötzlich.
Der Wechsel vom Swim auf Rad ist ein Fest. Oder eben der Wechsel ins 2. Trimester.
Im Triathlon weißt du, jetzt kommt der geile Part. Wir haben überlebt. Und genau dasselbe habe ich jetzt in der Schwangerschaft gedacht. Wir haben überlebt. Das Risiko, das Baby in den ersten 12 Wochen zu verlieren, liegt bei 50%.
Es passiert so unglaublich vielen Frauen und der Schmerz ist unvorstellbar, den diese armen Geschöpfe durchleben müssen. Du spürst das Baby noch nicht, du siehst auch nicht viel. Du weisst nicht, ob das Herzchen wirklich noch schlägt, von dem kleinen Knöppi in deinem Bauch. Du kannst nur versuchen zu vertrauen und dich nicht verrückt zu machen. Das gelingt meistens, aber es gab sie auch bei mir, die dunklen Stunden vor ich fast verrückt geworden bin, aus Angst.
Aber jetzt sind wir auf dem Rad…wuhhuuuuu. Die beste Disziplin. Die Energie kommt langsam zurück. Wie im Wettkampf muss ich mich auch jetzt an Vorgaben halten. Ich darf den Puls nicht zu hoch treiben. Joggen in einer Pace in der ich nebenbei noch reden könnte ist aktuell schwierig. Ich japse schon beim Spazieren, wenn es minimal bergauf geht. Ich lebe in der Schweiz, flache Laufstrecken hab ich hier keine, also habe ich rennen vorerst von meiner Liste gestrichen und gegen stundenlange Spaziergänge getauscht.
Radfahren wird in der Schwangerschaft nicht empfohlen, aufGrund der Unfallgefahr. Ich fahre weiterhin meinen Weg zur Arbeit, was im Monat auch 300km einbringt. Dabei fahre ich ausschliesslich auf dem, Radweg, was das Unfallrisiko durch Fremdeinwirkung schonmal reduziert. Zusätzlich ab und zu chillig auf der Rolle, da fall ich eher selten runter. Draußen fahre ich entweder nur mit Andy gemeinsam, meide krasse Abfahrten und viel befahrene Straßen. Die Angst fährt jetzt doch n bissl mehr mit, wenn man weiss, man hat Verantwortung für so n Würmli.
Yoga und Meditation gibts übrigens natürlich weiterhin täglich.
Zwischendurch hab ich mir jetzt auch n Penalty eingefangen. Es gibt nichts, was du nicht testen kannst in der Schwangerschaft. Wir haben uns entschieden, nur das “Standardprogramm” mitzumachen. Aber das hat schon für genug schlaflose Nächte gereicht. Nachdem man uns mitteilte, dass die Wahrscheinlichkeit für Trisomie 13 oder 18 bei 1:22 liegt bin ich freiwillig ins Strafzelt abgebogen. Habe auf der Bank meine Zeit abgesessen, die sich wie eine Ewigkeit angefühlt hat, bis endlich die Ergebnisse der Folgetests kamen und wir aufatmen konnten. Unser Kind ist gesund!
Darauf bist du genauso vorbereitet, wie auf n Platten bei Kilometer 80.
Aber jetzt heisst es Schnauze tief und Vollgas weiter. Meine Aeroposition wird zwar immer schlechter, auf Grund einer komplett neuen Gewichtsverteilung aber jeder Kilometer, bzw. jede Woche, die an mir vorbeifliegt ist ein Meilenstein und ein Wunder und macht mich glücklich.
Ich kann es kaum erwarten, wieder in die Wechselzone zu kommen und ins dritte Trimester zu wechseln. Obwohl jetzt schon klar ist, der Marathon wird der härteste Part. Aber am Ende steht der Zielkanal (danke an H-J für diesen geilen bildlichen Input zu meinem Vergleich ;)).
Ich bin dankbar, diese Reise erleben zu dürfen. Ich bin aufgeregt und voller Vorfreude auf das Leben, was auf uns als Eltern zukommt. Ich hab ein Fünkchen Angst und eine ordentliche Portion Respekt.
Ich bin die glücklichste Frau der Welt, dass der Mann, den ich damals als “Hotti” bezeichnet habe, als ich meiner Kollegin sein Instagram Profil gezeigt habe, nun Vater meines Kindes wird.
In diesem Sinne, lass mal dankbar sein ;)