Interview Ostsee Zeitung 15.07.2021
Artikel von Kai Lachmann
Mein Leben zusammengefasst auf einer Zeitungsseite in der Heimat
- IronVan
Alles verkaufen, einfach abhauen und nur noch tun, worauf man Lust hat:
Viele träumen davon, doch kaum jemand macht es. Vielleicht ist die Angst vorm Abenteuer zu groß, vielleicht das Budget zu klein. Für die in Stralsund aufgewachsene und in die Schweiz ausgewanderte Triathlon-Enthusiastin Claudia Hauth war es letztlich keine Frage des Mutes oder des Geldes, sondern des Willens.
Im sozialen Netzwerk Instagram, wo sie auf ihrem Profil Swiss_Claudi eifrig sportliche Fotos veröffentlicht und ihr fast 24 000 Nutzer folgen, interessierte sie sich vor allem für Beiträge unter dem Stichwort „Vanlife“ – also leben und durch Welt reisen in einem Campingbus. Aus der Faszination für das Thema wurde schnell ein „Ich will das auch“. Neun Monate später war sie glückliche Besitzerin eines ausgebauten, schreiend gelben Busses. Der hatte zwar schon fast 350 000 Kilometer auf der Uhr, „aber der Vorbesitzer hat den Wagen sehr geliebt und gut behandelt“, erzählt sie. Das Ziel: damit die Freiheit genießen und von Triathlon zu Triathlon fahren.
Vier Monate haben sie, ihr Freund sowie Nike und Theia damit schon in Südeuropa verbracht.
Die beiden jungen Hunde hat das Paar in Griechenland von der Straße aufgegabelt und sofort ins Herz geschlossen. Zahlreiche Instagram-Fotos mit den Tieren zeugen von tiefer Zuneigung. Nun legt das Quartett einen Boxenstopp am Sund ein. Hier bekommen der Wagen neuen Tüv, die Hunde eine Behandlung beim Tierarzt und natürlich die Familie Besuch. „Stralsund ist zwar nicht mehr mein Zuhause, aber meine Heimat“, sagt Claudia Hauth. Wenn sie durch die Straßen der Stadt fährt, werde sie nicht melancholisch, aber doch nostalgisch. „Hier hat sich eine Menge getan, ich erkenne vieles kaum wieder. Ich denke, ,hier vorne habe ich mal Party gemacht’. Oder ,da führte mein Schulweg lang’.“
Bis zur elften Klasse ging die Andershoferin aufs Goethe-Gymnasium. Mit 17 Jahren zog es sie in die Großstadt. In Berlin arbeitete sie im Rettungsdienst, half Schlaganfall-Patienten und Unfall-Opfern. Ihre Pläne damals: „Mit 40 will ich einen Schreibtisch-Job haben. Und ich will Deutschland verlassen.“ Also überlegte sie, was sie tun könnte, um auszuwandern. Die Chancen fürs Arbeiten im Ausland wären wohl größer, wenn sie Krankenschwester wird. „Die deutsche Ausbildung gilt als eine der härtesten weltweit und ist deshalb überall sehr anerkannt.“ Sie lernte in Thüringen und arbeitete später an der Charité. Doch die Bedingungen verleideten es ihr: „Eine Kraft für 16 Patienten – das war zu viel.“
Ein Bekannter fragte sie, ob sie nicht in die Schweiz kommen wolle. Wesentlich mehr Gehalt und bessere Bedingungen – eine Kraft für fünf Patienten. Sie fing in einer orthopädischen Klinik mit gutem Ruf an, stieg nach einem Jahr zur Führungskraft auf und übernahm Verantwortung für fast 50 Kollegen. Ihren Schreibtischjob hatte sie also schon mit 27. Gleich zu Beginn fiel ihr auf: „Alle Kollegen machen Sport nach der Arbeit.“ Sie ließ sich inspirieren und mitreißen. „Während in Deutschland nach Feierabend der Tag ausklang, fing er in der Schweiz erst richtig an.“
Sie sei zwar schon immer schlank gewesen, habe dafür aber nichts getan. „Wenn es in Stralsund eine Runde um den Frankenteich ging, habe ich einen Bus genommen.“ Nun schafft sie im Laufschritt eine Runde um den Zürichsee, also fast 70 Kilometer. Doch zunächst entdeckte sie das Mountainbiking für sich. Bei einem Triathlon unterstützte sie die Teilnehmer als Helferin an der Strecke und ließ sich so für die Kombination aus Schwimmen, Radfahren und Laufen begeistern. Schließlich trainierte sie so viel, dass sie bereit war für ihren ersten Wettkampf. „Der sollte aber nicht in der Schweiz sein, sondern in der alten Heimat“, blickt sie zurück. 2018 lief sie dort durchs Ziel, wo sie früher mit dem Schülerferienticket zum Baden hinfuhr: in Binz.
Der Triathlon „Rügen 70.3“ gefiel ihr so gut, dass sie seither so gut wie alles an Wettkämpfen mitnahm, was machbar war. Dabei verletzte sie sich auch einmal böse: „Bei einem Hindernislauf bin ich einmal abgerutscht und mit dem Rücken auf Asphalt geknallt“, berichtet sie. Zwei Wirbel und ein Ellenbogen waren gebrochen. Dennoch lief sie noch ins Ziel. In München verließ sie die Klinik, um sich von ihren Kollegen in der Schweiz behandeln zu lassen. Nach nur drei Monaten Pause stand sie wieder an der nächsten Startlinie.
Eine extreme Erfahrung sei auch der Iron Man in Dubai 2020 gewesen. 1,9 Kilometer schwimmen, 90 Kilometer auf dem Rad und 21 Kilometer laufen. „Mein Freund versteht nichts von Triathlon, meinte aber, ich würde nach 5:15 Stunden ins Ziel kommen“, erzählt sie. Ihre Bestzeit lag bis dahin deutlich drüber. Doch es lief gut. Vor allem auf dem Rad machte sie Tempo, fuhr im Schnitt 36 Kilometer pro Stunde. Nach dem Überqueren der Ziellinie stoppte sie die Uhr am Handgelenk: 5:15! Was ihr nicht bewusst war: Mit der Zeit hatte sie sich auch noch für die Weltmeisterschaft qualifiziert.
Die fiel wegen Corona erst mal aus, soll aber im kommenden Jahr in Neuseeland nachgeholt werden.
Ein mögliches Fernziel für die Reise im Van? „Vielleicht.“
Nun stehen erst mal Schweden und Italien auf der Liste. Nächste Woche geht es wieder los. Wie lange soll die Reise dauern? „Open End“, antwortet Claudia Hauth. In der Schweiz habe sie genug angespart, das reiche für ein paar Jahre.
Kai Lachmann Ostsee Zeitung (15.07.2021)