Der Tag kommt auch für uns...
Der Tag, an dem wir uns in der Tram wünschen würden, dass so ne dämlich aufgestylte 14 jährige ihren zu dürren Arsch für uns hebt und Platz macht, weil wir auf unseren wackeligen Beinchen kaum noch stehen können.
- Geschichten aus dem Leben
Wenn man in Deutschland Gesundheits- und Krankenpflege lernt, dann muss man so ziemlich alle Stationen in den Praxis Blöcken mal durchlaufen. Mein Einstieg war damals auf der Onkologie…das war schonmal gleich der Hammer zu Beginn in die Fresse. Gesund machst du da nicht mehr Viele.
Außerdem gab es einen Außeneinsatz im Pflegeheim.
Absoluter Horror diese vier Wochen damals.
Das mit den Trinkmengenzetteln habe ich euch im letzten Blog schon berichtet. Ein weiteres „Highlight“ war die sogenannte „Kackrunde“. Die Bewohner wurden mit einem Patientenlift ca. 30cm über ihrem Bett schweben gelassen. Das Bett wurde mit Unterlagen abgedeckt. Dann gabs n Klistier (Abführmittel) direkt rektal rein und es wurde gewartet. Wohlgemerkt in baumelnder Position.
Wenn „Erfolg“ zu verzeichnen war, dann wurde die Unterlage entsorgt und der Patient wieder ins Bett runtergelassen. Und der Kran zum nächsten geschoben.
Das hat das Personal damals nicht gemacht, weil sie es lustig fanden. Nein, das sind keine schlechten Menschen, sie sind schlichtweg einfach unterbesetzt. Und von den Leuten, die da rumgelaufen sind, konnte die Hälfte entweder kaum Deutsch oder hatte absolut keine medizinische Ausbildung. Denn die kosten eben weniger. Nicht, dass ein guter Praktikant nicht in der Lage wäre, einem Bewohner einen Schlafanzug anzuziehen, das kriegt der schon irgendwie gebacken. Aber erkennt der Hautveränderungen? Merkt der, wenn Opi gerade nebenbei n Apoplex schießt? Oder beim Essen eingeben. Rafft der, wie ne Aspiration aussieht? Weiß der, das so ne fette daraus resultierende Lungenentzündung vielleicht die letzte Diagnose sein kann, die der arme alte Mensch bekommt? Nein, woher auch. Er hat es ja nicht gelernt.
Wie ihr wisst, bin ich unter anderem auf Grund des Gesundheitssystems aus Deutschland geflüchtet.
Ich hörte, es hat sich mittlerweile schon einiges zum positiven geändert. Auch die Löhne, was vielleicht eine Motivation für unseren Nachwuchs ist.
Nach der Zeit als Führungskraft und dem Vanlife wollte ich Abwechslung. Ich wollte wieder pflegen. So, wie ich es damals gelernt habe.
Da die Reise aber bald weiter geht, will ich flexibel bleiben. Deswegen arbeite ich nun für eine Temporärfirma.
Nun hatte ich einen Einsatz in einem Zürcher Pflegezentrum. Na prima. Wo ich ja so viel Gutes mit solchen Einrichtungen verbinde. Fantastisch. Naja, ist ja nicht für ewig.
Ich mache mich auf das Schlimmste gefasst und habe ehrlich gesagt ein bisschen Angst.
Nicht vor den Bewohnern, sondern vor mir selbst. Was werde ich ihnen antun müssen, oder was werde ich alles nicht schaffen, weil keine Zeit und kein Personal.
Ich beginne meinen ersten Tag. Ich werde vom Pflegedienstleiter persönlich in Empfang genommen und er erklärt mir eine Stunde, was mich so erwartet in dieser Institution. Ich muss natürlich einen Covid Test machen (von nun an wöchentlich- zum Schutz für Bewohner, die keine Maske tragen, weil sie es nicht verstehen). Er ist mega freundlich und bringt mich auf die Abteilung.
Im Laufe der 4 Wochen habe ich das ganze Haus kennengelernt, jede einzelne Station. Von „eben keine 20 mehr“ zu „hochgradig dement mit Weglaufverhalten und Wahnvorstellungen“ ist alles dabei gewesen. Denn das ist ja eben genau das, was temporär arbeiten ausmacht. Du bist immer woanders. Eben da, wo gerade jemand krank ist oder wo es brennt. Und genau das gefällt mir sehr. Man lernt ständig Neues. Neue Kollegen, neue Bewohner, neue Krankheitsbilder oder Verhaltensmuster. Und das macht es für mich emotional so einfach. Weil ich eben nicht diese Bindung zu den Menschen aufbaue. Ich könnte das nie. Das sag ich euch ganz ehrlich. Jahrelang den gleichen süßen Opi waschen, rasieren, pflegen. Seine Angehörigen kennenlernen. Wissen, wie er seinen Kaffee trinkt, wann er aufs Klo muss und was er zum Znüni isst. Und dann zusehen, wie es bergab geht und ihn schlussendlich auf seiner letzten Reise begleiten? Puh…Hut ab, liebe Kollegen.
Zwei Bewohner haben sich in dem Monat, in dem ich dort war mit mir auf die letzte Reise begeben.
In dem Alter, in dem die Menschen dort sind, kann das natürlich jederzeit passieren.
Eben noch habe ich mit ihm über Bücher gequatscht und eine Stunde später finde ich ihn tot im Bad auf dem Boden.
Bei ihr habe ich am Morgen schon gespürt, dass sie die Köfferchen gepackt hat und bereit ist. Es ist auch ein schönes Gefühl (ich weiß nicht, ob man das verstehen kann, wenn man nicht aus dem Bereich kommt), wenn man weiß, sie hat es jetzt endlich geschafft. Ich habe sie einige Tage betreut. Sie am Morgen gewaschen, ihre Lieblingsmusik im Zimmer spielen lassen. Und ich durfte dabei sein, als sie am Nachmittag ihren letzten Atemzug getan hat. Ich konnte ihre Hand halten. Ich konnte das Fenster aufmachen und ihre Seele fliegen lassen. Sie anschließend hübsch anziehen, ihr die Rosen auf die Brust legen und ihre Augen schließen…für immer.
Auch das sind extrem schöne Momente im Beruf der Krankenschwester, Pflegefachfrau oder wie auch immer man das jetzt nennen will. Für mich allerdings nur mit dieser gewissen Distanz als „Temporäre“, da ich die Menschen eben nicht jahrelang kannte.
Ich kann jetzt hier natürlich nicht für alle Pflegeheime in der Schweiz sprechen, aber ich kann dieses eine mit dem, was ich in Deutschland kennenlernen musste vergleichen.
Es liegen Welten dazwischen.
Es gibt ein paar Indizien, woran du sofort erkennst, wie an einem Ort gearbeitet wird. Sind die Haare der Bewohner gewaschen, die Nägel geschnitten, die Männer rasiert? Wie sieht das Bett aus, ist das Laken dreckig, hat es massenhaft Haare auf dem Kissen, was die Schlussfolgerung zulässt, dass es nicht oft gewechselt wird?
Fehlanzeige. Im Gegenteil. Es stehen kleine Becherchen auf den Nachttischen mit Aromatherapie, individuell für jeden Bewohner. Die Kollegin kommt zum Spätdienst und war vorher noch schnell für Fr. K ein paar Klamotten kaufen, weil ihr ihre Hosen nicht mehr passen.
Ich habe mehrfach die Kapazitäten, mit Bewohnern am Nachmittag mit dem Rollstuhl eine Runde im Garten zu drehen. Ich kann mir bei der Körperpflege Zeit lassen, kann jeden einzelnen eincremen. Kann bei unschönen Füssen einen Termin beim hausinternen Podologen vereinbaren.
Und das aller, aller schönste: Ich kann zuhören.
Denn das ist es, was den Menschen meiner Meinung nach in Deutschland in dem Heim, in dem ich war (was im Übrigen vom MDK mit 1,0 ausgezeichnet war) so sehr gefehlt hat.
Diese alten Leute haben was erlebt. Sie haben was zu erzählen. Sie haben wunderschöne Erinnerungen oder auch schlechte. Sie haben ihren Ehepartner, oder vielleicht sogar schon ihre Kinder verloren. Sie haben mal gearbeitet, wie du und ich es tun. Sie hatten Hobbys, man mag es kaum glauben. Das sind keine Mumien, die nichts mehr schnallen, hinter jedem einzelnen steckt eine so wundervolle Geschichte, man muss sich eben nur die Zeit nehmen dürfen, sie auch anhören zu können.
Diese Zeit erschafft man nur durch ausreichend Personal (und zuhören kann im Fall auch n Praktikant sehr gut). In diesem Pflegezentrum, in dem ich jetzt schaffen durfte, hatte es auch wegen Covid viele, viele kranke Mitarbeitende, sonst hätte es mich nicht gebraucht. Und ich bin sicher, auch dieser Betrieb muss wirtschaftlich sein und Kosten einsparen, wo auch immer es geht. Aber scheinbar sparen sie nicht an erster Stelle am Personal. Die Pflegequalität, die ich dort erleben durfte und die Kollegialität und Loyalität zum Betrieb bekommt von mir einen riesen, fetten Daumen hoch.
Es wird der Tag kommen, an dem wir alle mal alt sind.
Der Tag, an dem wir uns in der Tram wünschen würden, dass so ne dämlich aufgestylte 14 jährige ihren zu dürren Arsch für uns hebt und Platz macht, weil wir auf unseren wackeligen Beinchen kaum noch stehen können. Der Tag, an dem uns junge Menschen behandeln, wie Vollidioten, weil sie vergessen, dass wir nur alt und nicht dumm sind. Der Tag, an dem in unserem Kopf Feuerwerk ist, und wir nicht begreifen, was um uns rum gerade eigentlich passiert. Weil wir vielleicht dement werden, oder nicht mehr richtig sehen, oder hören können. Der Tag, an dem Schnee und Eis für uns eine Katastrophe bedeuten, weil wir zum Supermarkt gehen müssen und nicht wissen, ob wir auf dem Rückweg hinschlagen und mit ner Schenkelhalsfraktur in einem schlecht besetzten Spital landen. Wo uns im Vorbeigehen einer n Löffel in den Hals schiebt und von „füttern“ spricht, wo wir stundenlang in unserem eigenen Urin liegen und die weiße Decke anstarren. Wo der Dekubitus, der Intertrigo und die Pneumonie schon an der Tür lauern und nur darauf warten uns auf unsere letzte Reise zu schicken, wo uns dann vielleicht nach einigen Stunden mal einer findet. Und niemand dran denken wird, dass Fenster zu öffnen, um unsere Seele fliegen zu lassen, weil da noch soviel andere Patienten sind, die auf ihn warten.
Und ich wünsche mir und euch sehr, dass wir dann an einem Ort landen, wie diesem, den ich jetzt kennenlernen durfte. Wo Menschen mit viel Herz ihren Job machen und wo man ihnen die Möglichkeit bietet so zu arbeiten, dass sie nach Feierabend mit einem guten Gewissen heim gehen können.
Seit Anfang Februar habe ich nun wieder einen Einsatz im Akutspital. Der Durchlauf der Patienten ist hoch, die Krankheitsbilder komplex, es gibt mehr „Action“.
Ich berichte dann 😉