
Alexandra
Weil ick keine Zeit für ne Therapie hab.
- Geschichten aus dem Leben
Weil ick keine Zeit für ne Therapie hab, schreib ich hier bekanntlich diesen Blog.
Meine Schwangerschaft verlief soweit gut.
Ich hab all den Mist mitgemacht, den man so machen sollte: Trisomie-Test, Diabetes-Test usw. Mit 37 galt ich als alt, dazu kam meine fehlende Schilddrüse – also Risikoschwangere. Heisst: monatliche Ultraschalle. Relativ früh stellte man fest, dass mein Risiko für eine Präeklampsie (Schwangerschaftsvergiftung) erhöht war. Also nahm ich ab da täglich Blutverdünner. Laut Studien senkt das das Risiko um 50 %. Bei mir: hat’s nix gebracht.
Ich nahm schnell sehr viel zu. Hauptsächlich Wasser. Kompressionsstrumpfhosen bei 32 Grad – echt eine Bereicherung. Einen schlanken Fuss bekam ich trotzdem nicht, im Gegenteil: Man sah die Wasserblasen durch die Kleider. Ich hab mich im Leben noch nie so für meinen Körper geschämt und so unwohl gefühlt. Ja, ich weiss, mein Körper leistete Grossartiges. Blabla. Trotzdem: Ich fühlte mich hässlich. Und alles war anstrengend. Punkt.
Ab Woche 30 gaben sich die schlechten Nachrichten die Klinke in die Hand.
Der Druck in der Nabelschnur war erhöht – warum? Keine Ahnung, eine Laune der Natur. Man müsse engmaschig beobachten. Ich wurde zum Spezialisten geschickt. Nebenbei: Unsere Tochter wurde von vier verschiedenen Chefärzten geschallt. Ich entwickelte eine Weisskittelhypertonie und musste auch zuhause Blutdruck messen. Es hiess bald: Erfahrungsgemäss müsse man unser Kind vor der 35. Woche holen. Heisst: nicht das geplante Spital (weil keine Neonatologie), nicht natürliche Geburt, sondern Kaiserschnitt. Ab da war ich arbeitsunfähig und wöchentlich in Kontrolle.
Diese Infos zu verdauen brauchte ein paar Tage. Aber wir blieben positiv und hofften, dass Principessa möglichst lange im Ofen bleibt.
In Woche 33 stieg mein Blutdruck zuhause weiter, die Nabelschnurwerte wurden schlechter. Also Klinikaufenthalt. CTGs waren gut, mein Druck stabilisierte sich etwas. Ich bekam zwei Lungenreife-Infusionen für die Kleine. Mittwoch durfte ich nach Hause – die Nabelschnurwerte hatten sich gebessert. „Kann jetzt 3 Stunden oder 3 Wochen halten – Daumen drücken.“ Am Donnerstag beim Chefarzttermin dann:
„Wir müssen sie jetzt holen.“
Bäm. Irgendwie erleichtert, dass das Hin und Her vorbei ist. Irgendwie voller Vorfreude. Irgendwie voller Angst – es ist doch noch viel zu früh.
Andy wich mir nicht von der Seite. In der Klinik reihten sich Notfälle aneinander, wir mussten warten. Stunden. Ich hatte Kohldampf, durfte natürlich nichts essen. Andy und ich kuschelten uns ins Spitalbett und redeten über alles, was wir mit unserer Tochter erleben wollen. Weitere CTGs. Am Morgen um 5 dann: ab in den OP. Rückenmarksnarkose – ich war wach, spürte aber ab Brust abwärts nichts. Meine Pulswerte von knapp 40b/min sorgten kurz für Unruhe bei der Anästhesie (Grüsse vom Sportlerherz). Blasenkatheter (erniedrigend!). Andy wurde geholt. 05:43 Uhr – Alexandra war da. Winzig. Oh mein Gott. Wir weinten vor Freude. Sie kam sofort zur Versorgung auf die Neonatologie.
Ich wurde zugenäht, danach auf die Geburtenstation gebracht. Die Hebamme massierte meine Brust für Colostrum – mein Blutdruck explodierte, erniedrigender Moment Nummer zwei. Andy durfte bald zu Alexandra, ich erst später. Er kam zurück, voller Liebe, zeigte mir Fotos. Sie brauchte Atemhilfe (CPAP), Zucker in die Vene. Ansonsten alles gut. Zwei Stunden später liess ich mir den Katheter ziehen, stand taumelnd auf – und bestand darauf, zu meiner Tochter zu gehen. Blutdruck 180. Löwenmama-Modus on. Ich weiss noch, dass ich Andy unter Tränen auf dem Weg zu ihr gefragt habe “Was ist denn, wenn sie mich nicht mag?”. Poah, die Hormone, ick sag dir.
Im Rollstuhl sass ich vor dem Brutkasten.
Angst und Liebe gleichzeitig. So winzig, so viele Kabel – und trotzdem perfekt. Alexandra blieb zwei Wochen auf der IMC, danach vier Wochen auf der Neonatologie. CPAP-Entwöhnung zog sich. Blutzuckerwerte spielten verrückt, sie rauschte mehrfach gefährlich ab – einmal hat sie fast nicht überlebt (BZ 0,7, für die, die Ahnung haben). Ich muss heulen, während ich das hier tippe. Sie bekam eine PICC-Line gelegt. Das ist ein zentraler Venenkatheter. Dies ist notwendig, da man den Zucker nicht so hochkonzentriert über die Vene geben kann, da er stark gefässreizend ist. Der PICC endet direkt vorm Herzen. Sie wollen ihr einen Einmalkatheter in die Blase legen um eine Urinprobe zu gewinnen. Der Gedanke zerriss mich völlig. Hab ich diese Demütigung doch gerade ein paar Tage vorher erleben müssen, will ich es meiner Tochter ersparen. Sie erspart es sich selber und pinkelt die Ärztin, die es machen will an und bekommt dann einen Urinbeutel geklebt, was natürlich weniger invasiv und somit besser für sie ist.
Die Resultate von all den Untersuchungen bringen keinen Fortschritt. Frühgeborene haben häufig einen Hyperinsulinismus (zuviel Insulinproduktion)- Alexandra hat dies einfach in einem starken Ausmass und länger als andere. Das Blutzuckerproblem können wir schlussendlich erst 4 Wochen später zu den Akten legen.
Als wir auf die normale Neo verlegt werden beginnen wir mit dem trinken üben.
Stillen funktioniert, ist aber für den Zwerg sehr anstrengend. Aus dem Fläschchen trinken ist einfacher, so dass wir darauf den Schwerpunkt legen um Fortschritte zu machen. Aber auch dort macht sie sie nicht das Tempo, was die Ärzte sich wünschen würden. Verdammt, dass einzige, was sie gerade trinken müsse wäre mein Fruchtwasser, weil sie doch eigentlich noch über drei Wochen im Bauch wäre. Ich verstehe das alles nicht. Gebt ihr doch Zeit.
Geduld wird mein neues Supertalent. Ich gebe ihr diese Zeit. Und sie macht Fortschritte. Kleine Mengen, aber sie trinkt.
Wir bekommen Physio um Tipps zu kriegen, wie wir sie beim trinken unterstützen können. “Das schlucken bereitet ihr Mühe. wir sollten das mit den Ärzten besprechen und abklären lassen!”. Als die Physio das sagt knallt bei mir ne Sicherung durch. GAR NICHTS klären wir jetzt hier mehr ab, ich hab die Schnauze voll von all diesen Abklärungen. Alexandra hatte zwei Schädelsonos, zwei Herzechos, ein Sono Abdomen, zwei Lungenröntgen, ein Neuropädiatrisches Konsil, ein endokrinologisches Konsil und so weiter und so fort. Wir haben u.a. noch einen ambulanten Termin zur HNO Abklärung und sie hing sechs Wochen an diesen Bildschirmen. Sie ist unzählige Male in den Hacken gestochen worden, um den Zucker zu kontrollieren. Sie hatte 5 Magensonden, 4 periphere und einen zentralen Zugang (und einen Nabelkatheter, weiss gar nicht, ob der als peripher oder zentral zählt). Mein Herz brach bei jedem Pieks, jedem Schlauch.
Trotzdem: Dankbarkeit.
Dankbarkeit, dass die Medizin so viel kann. Aber auch Wut, dass so vieles immer wieder abgesichert und geprüft werden muss, oft ohne neue Erkenntnisse. Hoffnung, Tränen, Fortschritte, Rückschläge. Und seit Beginn dieser Schwangerschaft mein ständiger Begleiter: ANGST.
Nach 40 Tagen durften wir heim – mit Magensonde. Alle 4 Stunden üben mit dem Fläschchen. Was sie innerhalb von einer Stunde nicht schafft zu trinken sondieren wir.
Alexandra machte Fortschritte, langsam, aber stetig. Das Ziehen der Sonde rückt näher. Herausfordernd bleibt es trotzdem: Ein Neugeborenes plus Sonde und Trinkschwäche ist kein Spaziergang. Aber wenn sie lächelt, ist alles vergessen. Das ist doch dieser dämliche Spruch, den Eltern immer bringen. Bereits jetzt bring ich ihn auch, denn er ist wahr, auch wenn ich es nie für möglich gehalten hätte- Sie ist es wert. Sie ist mein Mini Me. Meine kleine Löwin. Ich lieb sie jetzt schon so unendlich.
Als kleines give away gabs für Alexandra übrigens noch ne Pilzinfektion erst am Hintern und dann im Mund. Und was passiert, wenn das Kind n Soor im Mund hat? Wo bekommt ihn Mama dann? Ick sag dir, dat is als wenn dir einer kontinuirlich mit Chillyschoten an den Nippeln spielt.
Ah und hatte ich den Wasserschaden bei uns im Haus erwähnt? Aber wer will schon jammern- läuft bei uns ;).
Und zuletzt:
Das Personal auf der Neonatologie – absolute 10/10. Pflege, Ärzt:innen, Reinigung, Physio, Stillberatung, Case Management, Seelsorge – alle. Unsere Dankbarkeit haben wir mit handgeschriebenen Karten und Torten gezeigt. Weil für jeden einzelnen n Porsche gerade das Budget sprengen würde.
Andy nenne ich mittlerweile nur noch Dr. Schenker. Es ist das eine, wenn ich mein Kind so sehe, als jemand, der aus dem medizinischen Bereich kommt und weiss, was welche Zahl auf dem Bildschirm bedeutet und welcher Alarm wirklich beängstigend ist. Aber er wurde einfach in diese Welt geschubst und musste klar kommen. Und das hat er gemeistert. So wie er es auch gemeistert hat, mich aufzufangen, als ich zusammengekauert am Boden lag und geschrien und geweint habe, weil unsere Tochter uns so grosse Sorgen bereitet hat.
Liebe bekommt durch Alexandra eine völlig neue Dimension.
Die Liebe zwischen uns, als Eltern und natürlich als Eltern zu ihr-zu unserer Tochter, unserer absoluter Lebensmittelpunkt.
In diese Sinne…lass mal dankbar sein.