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70.3 Weltmeisterschaft USA

Current situation: Learn how to don`t give a fu-k

  • Race hard, baby

Zur Weltmeisterschaft fliegen und dann doch nicht starten…ist ja wie in den Ferrari steigen und nicht losfahren.

Ich machs, wie ich es im Führungsstudium beim Kapitel Kündigungsgespräche gelernt hab. Ich komm gleich zum Nullpunkt- schlag quasi gleich zu, ohne drum rum zu labern…

Ich war weder körperlich noch mental in der Verfassung, an diese Startlinie zu gehen.

Ich bin zu dieser Weltmeisterschaft in die vereinigten Staaten von Amerika geflogen. Zwei Faktoren, die per se schonmal speziell und irgendwie auch mächtig aufregend sind. Ich kenn mich nicht aus mit Flügen, hab das noch nicht sehr oft gemacht. Ich kenn mich auch nicht aus mit Unterkünften buchen, hab ja im Van gelebt. Zum Glück hab ich tolle Menschen um mich rum, die mir eine Unterkunft, die Flüge und einen Mietwagen buchen.

Kurz vor der Abreise fange ich an zu kränkeln. Eine Situation, die bei mir ja sehr, sehr selten ist. Ein Zeichen? Ich bekomme Angst…was ist, wenn mich jetzt doch zum ersten Mal Corona erwischt hat und ich nicht einreisen darf? Negativ- aufatmen….wenn auch schwer, weil Husten, Rotznase, allgemein n schlappes Gefühl.

Andy kann mich nicht begleiten, aber mein Bruder und seine Frau werden ein paar Tage nach mir in Vegas landen und mich bei meinem Rennen unterstützen.

Der Abend vor der Abreise. Ich bin aufgewühlt. Sehr. Ich heule- mach ich nicht oft. Ich freu mich auf die Reise, bin sooo gespannt auf Amerika, aber irgendwas ist in meinem Kopf los- so existentieller Kram. Ich quatsche Andy voll und bewundere ihn einmal mehr, wie es sich das freiwillig antun kann, so n Weib wie mich an seiner Seite haben zu wollen.

Über ne Chatgruppe von der Gümmelei lerne ich Marcel kennen, der zufällig im gleichen Flieger sitzen wird wie ich. Auch er muss dann n Mietwagen holen und auch er muss dann nach Hurricane fahren. Ich fühl mich also schonmal nicht mehr so allein. Wir verabreden uns am Gate. Erkennungszeichen seinerseits: Schwarzer Huub Rucksack, AK 45. Ich sitze dort und beobachte einen Triathleten (die riecht man ja 10km gegen den Wind) mit Huub Rucksack. Hallo, ich bin Claudi. Ein fragender Blick, er akzeptiert meinen Handschlag- Freut mich, ich bin Moritz. Oops- das war also nicht Marcel-haha, schön peinlich, aber der war auch nett und Marcel kam dann wenig später auch dazu.
Der Flug hätte nicht besser sein können. Der Vogel halbleer, die ganze Bank für mich. Ruhe, schlafen, entspannen. 12h vergehen mega schnell.
Landung in Las Vegas. Alles klappt, der Bro kommt an, das Gepäck ist da, der Mietwagen wird geholt und mitten in der Nacht komme ich bei meiner Unterkunft an. Die ist ca. 5 Minuten vom Schwimmstart weg in einer amerikanischen Siedlung, die aussieht, wie bei desperate housewifes.

Ich fühle mich sofort wohl und penne wie ein Baby. Am nächsten Morgen fahr ich in den Walmart und bin geflasht von diesem Land. Ich könnte über all meine Eindrücke locker noch n kompletten Blog schreiben, aber jeder, der schonmal da war, der weiss, was ich meine. Es ist einfach überwältigend. Riesig, atemberaubend, wahnsinnig, grossartig, spannend, toll.
Meiner Gesundheit geht es leider immer noch nicht besser. Marcel und ich gehen gemeinsam ne Runde aufs Rad. Ich strahle, weil es so surreal ist, hier durch diese Landschaft auf der Ironman Strecke zu fahren. Das Lachen vergeht mir beim Blick auf meine Pulswerte. Verdammt. Ich bin einfach noch nicht fit. Der Husten und die laufende Nase lassen mich nicht in Ruhe. Dazu kommt Mister Jetlag, der mich auch richtig hart nimmt. Ich telefoniere mit meiner besten Freundin und heule…schonwieder…irgendwas stimmt mit mir nicht. Ich fühle mich…ja wie eigentlich? Überfordert und verunsichert, was ich machen soll.

Ich möchte soviel sehen und erleben, kann aber nicht, weil ich so erschöpft bin, wenn ich nur 9km rennen war.

Marcel kränkelt auch rum. Wir machen das Beste aus der Situation. Kochen zusammen und quatschen über Triathlon und mit seinem Freund Simon über die Art, Vermögen zu verwalten.

Kurz vorm Race kommt noch Elmar Sprink an. Ich freu mich mega auf ihn. Sein Buch (Herzrasen 2.0) habe ich vor Jahren gelesen und seitdem sind wir auf Insta in Kontakt. Seine Geschichte, wie er mit einem Spenderherz Triathlon macht ist einfach unglaublich.

Die Schwimmstrecke testen durfte man bis jetzt nicht, aber heute ist es soweit und wir gehen gemeinsam hin. Ironman hat alles top organisiert und lässt systematisch Athleten auf die 620m Teststrecke um ein Gefühl für das Wasser zu bekommen. Es geht erstaunlich gut. Ich huste ein paar Mal unter Wasser, fühle mich aber ansonsten soweit wirklich ok.

Was alle Athleten gleich besorgt ist die Aussentemperatur.

Das Wasser ist zwar sehr angenehm, aber für meine Startzeit (7:58Uhr) sind aktuell 3 Grad vorausgesagt. Sie steigen während ich auf dem Rad bin auf 8 Grad und dürften zum Run bei etwa 13 sein. Gott seis gedankt hab ich Elmar. Socken und n Langarmshirt konnte ich auf der Ironmanmesse kaufen, aber für Winter sind die da auch nicht gerüstet. Elmar versorgt mich mit Überziehern für die Schuhe, Handschuhen und einer Radjacke.

Ich werde all das jedoch nicht brauchen, weil ich nicht starten werde.

Ich verbringe den Mittwoch mit meinem Bruder und Frau bei einer mega Grand Canyon Tour- da stockt einem echt der Atem, wenn man da steht- das war der Hammer. Aber auch auf dieser Tour merke ich wieder, ich bin nicht auf der Höhe. Ich penne immer wieder im Bus zwischen den einzelnen Stationen, rotze, Huste und fühle mich sooo, sooo, sooo erschöpft.

Der Tag vorm Race. Die Stimmung seit Ankunft in den USA ging immer wieder von himmelhochjauchzend zu zutodebetrübt. Ich war mir bewusst, dass ich nicht die gewünschte Leistung bringen können werde, aber man, es ist Weltmeisterschaft. Once in a lifetime. Körper, sorry man, aber da wirst du jetzt durch müssen, leg dir mal kein Ei und funktionier gefälligst.

Ich checke mein Rad mittags ein. Der Racemode beginnt. Dieses kribbeln. Jetzt wird es ernst. Ich laufe meine Wege ab. Ich hänge meinen blauen Sack in T1 und präge mir alles ein. Ich fahre die 25 Meilen rüber nach St. George um meinen Runningsack einzuchecken. Es hat nämlich hier zwei Wechselzonen, was für mich ne neue Erfahrung ist, ich es aber noch cool finde. Ich bin zu früh, ich darf den Sack erst ab um 14Uhr abgeben. Ich fühle mich sofort gestresst. Ich muss ne Stunde warten. Ist ja nicht so, dass ich noch was vor hätte heute. Aber es stresst mich innerlich, dass ich warten muss. Will weg von dem ganzen Trubel. Will mich fokussieren. Will alleine sein und was auch immer tun, damit ich mich endlich gesund fühle.
Nachdem ich den Sack abgegeben habe, bin ich erleichtert. Ich freue mich. Ich habe das Gefühl, mich damit innerlich abgefunden zu haben, dass es kein schnelles Rennen für mich geben wird, zweifel jedoch absolut nicht daran, dass es eines für mich gibt. Im Radio kommt Ace of Base. Ich singe lautstark mit und bin in Gedanken schon morgen früh im Wasser und nehme an der Weltmeisterschaft teil. Wow.

Zu Hause angekommen wird mir bewusst, dass ich mal wieder vergessen habe, was zu essen. Andy würde mir eine runterhauen, wenn er hier wäre. Ich schraub mir n Marmeladenbrötchen hinter und bereite mich gedanklich auf mein Mikrowellen Mac n Cheese vor, was mein Abendbrot werden soll.
Es dauert nicht lange und das Brötchen kommt mir wieder hoch. Und ne halbe Stunde später hänge ich erneut über der Kloschüssel.

Das wars.

Logisch war mein Brötchen nicht schlecht. Es ist der Kopf, der meinen Magenpförtner in die falsche Richtung öffnet und dat Brötchen durch den Ösophagus wieder raus befördert.
Ich weine bitterlich. Allein. In Amerika in meiner Wohnung. Vorm Klo zusammengekauert wie zu meinen schlimmsten Zeiten mit siebzehn.

Ich kann das nicht machen. Es ist nicht richtig. Mein Körper will mir was sagen.

Und ausnahmsweise werde ich diesem Einspruch stattgeben. Denn er hat mir einige Zeichen geschickt in den letzten Tagen und ich habe ihm den Mund verboten. Aber jetzt weint und zittert er so stark, dass ich zu schwach bin, dagegen anzukämpfen.

Ich rufe völlig am Ende meinen Bruder an und die zwei setzten sich sofort ins Auto in Vegas um mich zu sich rüber zu holen.

Noch an dem Abend hole ich mein Rad und meine Beutel wieder aus den Wechselzonen. Ich gebe meinen Zeitchip wieder ab und somit ist ganz sicher: Es wird morgen für mich keinen Startschuss geben.

Was ist also los mit mir? Mit nem kleinen Schnüppi kann man jawohl an die Startlinie. Ja, da hast du Recht. Und nur weil der Ruhepuls noch nicht wieder da ist, wo er sein sollte, kann man sicherlich auch racen. Es ist nur ne Mitteldistanz.
Das ist alles zweitrangig. Das entscheidende ist, das in meinem Kopf laut die Stimme schreit TU ES NICHT!

Ja, es ist die Weltmeisterschaft und wahrscheinlich fiel es mir auch deswegen besonders schwer, es mir einzugestehen, dass es nicht gehen wird. Es hängt n bissl mehr dran, als an irgendeinem Wettkampf in nem Nachbarland. Die Kohle ist sowieso weg, ob ich jetzt da abgehe wie Schmittis Cat oder jammern in meinem Zimmerchen liege.

Meine Akkus sind leer.

Und mir das einzugestehen…puh…hartet Stück Holz sag ich dir. Es war ein turbulentes Jahr. Es war viel los. Die letzten Monate die 10 Hunde in der klitzekleinen Wohnung, das hat auch unglaublich viel Kraft gekostet. Das Race in Jesolo vor drei Wochen mit einer neuen Bestzeit, die auch nicht vom Himmel gefallen ist, sondern die ich mir durch hartes Training erarbeitet habe.

Ich bin auch keine zwanzig mehr. Und ich bin an meine Grenze gekommen.

Und ich bin nicht mehr bereit, sie in diesem Ausmass zu überschreiten. Ich bin mir selbst zu wichtig geworden. Ich brauche diesen Körper noch.
Er war mir jahrelang egal und ich habe mich oft über die gesunde Grenze hinaus gequält (und dabei rede ich nicht von irgendwelchen harten Trainingseinheiten, das ist n anderes paar Schuhe). Ich rede davon, dass ich Schreie meines Körpers IMMER gekonnt ignoriert habe. Schlafmangel auf Grund von acht bellenden Welpen in der Nacht wurde mit Kaffee kompensiert. Treffen mit Freunden wurde noch irgendwo dazwischen gequetscht, obwohl ne Stunde Me- Time schlauer gewesen wäre. Wenn Zeitmangel dafür gesorgt hat, dass ich vergessen habe zu essen, dann hab ich halt den Zucker schnell mit nem Redbull und n paar Gummibärchen wieder hoch geholt, so dass ich den Tag hinbekommen habe.

Ich will mich selbstverständlich weiterhin mit diesem gestörten Sport quälen und die Saisonplanung für 2023 steht schon seit Wochen und wird auch wie geplant in Angriff genommen.

Aber ich werde mehr auf mich Acht geben. Keine Weltmeisterschaft ist es Wert, mit einer Herzbeutelentzündung nach Hause zu fliegen. Und jeder Stress, den ich vermeidlich meine zu haben…den habe ich mir selbst gemacht. Und es ist auch keine Schande, einfach mal um Hilfe zu bitten. Jemanden mal nach den Hunden schauen lassen, damit ich mal kurz aus der Situation rauskomme. Zu Freunden auch mal Nein zu sagen, weil ich selbst meine grösste Priorität sein sollte- und das eben nicht nur, wenn es um eine Trainingseinheit geht, sondern auch, wenn Schlaf, Me Time oder Essen ansonsten zu kurz kommen würden.

Ich habe mich hundselend gefühlt. Das hätte ich niemandem sagen müssen. Ich hätte es bei der Begründung von Infekt und Erbrechen belassen können.

Aber ich wäre nicht ich, wenn ich nicht authentisch wäre.

Als ich im Auto sass um meinen Bro wieder auszuchecken….ich sag dir, was mir da durch den Kopf ging:
Du bist ein Versager. Reiss dich mal zusammen. Wenns einfach wäre, wäre es Fussball. Jetzt hör auf zu heulen und tu, was du tun musst. Es ist die gottverdammte Weltmeisterschaft, was stimmt mit dir nicht, dass du jetzt den Schwanz einziehst? Das bissl Husten und Rotzen, andere racen mit krasseren Symptomen. Du wirst alt, du Lusche. Ich will einfach nach Hause…ich will ein Igel im Laubhaufen sein. Ich will zu Andy.

Ich habe den Bro aus der dunklen Wechselzone geschoben und der grosse Stein, der auf mir lag…der ist in T1 liegen geblieben. Den hab ich nicht mit rausgenommen.

Am Freitag um 11:00Uhr wollte ich eigentlich gerade vom Rad steigen und die hügelige Laufstrecke in Angriff nehmen. Stattdessen stehe ich im Victorias Secrets und kauf mir n paar neue Schlübber.

Andy hat mir meine Flüge umgebucht. Ich habe noch ein paar schöne Stunden mit meinen Liebsten in Las Vegas und fliege am Samstagnachmittag zurück nach Zürich. Danke, dass ihr für mich da wart!

Am Flughafen fange ich endlich mein Buch an, welches ich vor einigen Monaten in Aarau gekauft habe:

The subtle art of not giving an f¨ck

Und kein Buch würde mir in der aktuellen Situation wahrscheinlich mehr helfen, als dieses.
Denn es ist, wie Mark Manson schreibt…manche Dinge sind auch einfach scheissegal. Es ist die Bedeutung, die wir einer Situation in diesem Moment beimessen, die uns ein Drama machen lassen, wo eigentlich gar keins ist.
Es hat alles seinen Grund. Ich habe mal wieder etwas gelernt. Und habe diesen Wachrüttler vielleicht auch gebraucht, bevor mein Körper mich so richtig in die Knie gezwungen hätte. Und na klar wäre es Weltmeisterschaft gewesen…aber hey, ich war da. Damit hab ich mehr geschafft als viele andere. Und so n Ding zu finishen stand erst Recht nie auf meiner Bucket list….

Because I dont give a fu¨¨ of the ironman 70.3 worldchampionship…